Neapel: Palazzo Mannajuolo – Jugendstil, Architektur & Innenräume
Der Palazzo Mannajuolo ist einer dieser Orte in Neapel, die man leicht übersieht, wenn man nicht gezielt danach sucht. Keine Kathedrale, kein pompöses Monument am Hauptplatz, sondern ein Wohngebäude im Stadtteil Chiaia. Aber was für eins. Wer sich für Architektur interessiert – speziell für den Jugendstil, in Italien meist als Stile Liberty bezeichnet – sollte hier unbedingt vorbeischauen.
Jugendstil in Neapel – eine Einordnung
Um 1900 erlebte Europa eine Explosion neuer ästhetischer Konzepte. In Paris hieß es Art Nouveau, in Wien Secession, in Deutschland Jugendstil. Italien wählte den Namen Stile Liberty, benannt nach dem Londoner Kaufhaus „Liberty & Co.“, das Stoffe und Möbel mit floralen Mustern verkaufte.
Während Mailand und Turin die Zentren des Stils wurden, blieb Neapel zurückhaltender. Hier dominierten lange Zeit Barock und klassizistische Strömungen. Doch auch im Süden gab es Bauherren, die Neues wagten. Besonders im Viertel Chiaia entstanden um 1900 mehrere Jugendstilbauten – darunter der Palazzo Mannajuolo, heute einer der bekanntesten Vertreter dieser Epoche in Süditalien.
Baujahr, Architekten und Hintergründe
Fertiggestellt wurde der Palast zwischen 1909 und 1911. Auftraggeber war der Unternehmer Giuseppe Mannajuolo, der sich ein modernes, repräsentatives Wohnhaus im neuen Stil wünschte. Drei Männer waren maßgeblich beteiligt: der Architekt Giulio Ulisse Arata (bekannt durch Bauten in Mailand), Luigi Santarella (ein Professor für Architektur an der Universität Neapel) und der Bauunternehmer Michele Romano. Sie vereinten technische Raffinesse mit künstlerischem Anspruch.
Interessant: Arata war ein Schüler der Mailänder Schule, stark beeinflusst von Giuseppe Sommaruga – einem der wichtigsten Jugendstil-Architekten Italiens. Santarella wiederum hatte ein Faible für monumentale Treppenanlagen, was sich im Palazzo Mannajuolo deutlich zeigt.
Das Gebäude entstand in der Via Filangieri, einer ruhigen, aber eleganten Straße im Quartiere Chiaia. Um 1900 war dies ein aufstrebendes Viertel, in dem reiche Bürger neue Villen und Stadthäuser errichteten. Für Neapel war das Projekt ein Statement: Hier wollte man zeigen, dass die Stadt auch architektonisch mit dem Norden mithalten konnte.
Die Fassade – Bewegung statt Symmetrie
Wer vor dem Palazzo steht, merkt schnell: Hier läuft nichts nach Schema F. Die Fassade ist nicht streng symmetrisch, sondern lebt von Bewegung. Fenster in unterschiedlicher Größe, geschwungene Balkone, Stuckreliefs mit Pflanzenmotiven. Ein Wechselspiel von Licht und Schatten.
Besonders auffällig ist die abgerundete Gebäudeecke. Statt einer scharfen Kante entschied man sich für eine fließende Form, die das Straßenbild aufnimmt. Das war damals nicht nur ein ästhetisches Experiment, sondern auch ein städtebauliches Signal: Architektur sollte organisch mit der Umgebung verschmelzen.
Die Balkone sind ein Kapitel für sich. Schmiedeeiserne Geländer, teils floral, teils geometrisch. Manche wirken fast wie kleine Bühnen, auf denen man sich inszenieren konnte – typisch für die mondäne Gesellschaft Neapels um 1910.
Das Herzstück: die elliptische Treppe
Wenn es ein „Instagram-Motiv“ der frühen Moderne gibt, dann ist es die Treppe des Palazzo Mannajuolo. Eine freitragende, elliptische Treppenanlage, die sich wie ein Band durch das Gebäude zieht. Von unten nach oben fotografiert, ergibt sich das berühmte ovale Auge, das bis zum Glasdach reicht.
Das Treppenhaus erfüllt mehrere Funktionen: Es ist nicht nur ein praktisches Element, sondern ein Statement. Es vermittelt Bewegung, Leichtigkeit, fast so, als würde die Treppe schweben. Das Oberlicht sorgt für eine gleichmäßige Beleuchtung, die den Raum wie eine Bühne wirken lässt.
Vergleichbar ist die Anlage mit den berühmten Treppen im Jugendstil-Wohnhaus Casa Batlló in Barcelona (Gaudí) oder mit den geschwungenen Linien der Wiener Secession. Aber hier in Neapel hat die Treppe eine eigene Handschrift – weniger verspielt, dafür klarer in der Geometrie.
Innenräume – zwischen Repräsentation und Alltag
Auch abseits der Treppe lohnt der Blick. Schon die Eingangshalle zeigt, dass man hier nicht sparen wollte. Marmorverkleidungen, Stuckornamente, kunstvolle Bodenmosaike. Selbst Türgriffe und Geländer wurden als kleine Kunstwerke gestaltet.
Natürlich ist das Haus über hundert Jahre alt, und viele Wohnungen wurden renoviert oder modernisiert. Aber das Grundgerüst – die großzügigen Raumproportionen, die Dekorationen, die Atmosphäre – ist geblieben. Wer das Glück hat, eine der Wohnungen von innen zu sehen, erlebt eine Mischung aus historischem Charme und zeitgenössischem Wohnen.
Der Palazzo Mannajuolo ist also kein Museum, sondern gelebte Architekturgeschichte.
Wie kommt man hin?
Die Adresse: Via Filangieri 36, Quartiere Chiaia. Wer von der Metrostation Amedeo (Linie 2) startet, braucht etwa 10 Minuten zu Fuß. Man folgt der Via dei Mille bergauf, biegt dann rechts in die Via Filangieri. Von der Piazza dei Martiri sind es nur wenige Minuten.
Der Weg lohnt sich nicht nur wegen des Palazzos. Die Gegend rund um die Via dei Mille ist bekannt für ihre Boutiquen, Cafés und kleinen Kunstgalerien. Wer Architektur und Shopping verbinden will: perfekter Ort.
Tipp: Am besten vormittags hingehen. Dann ist das Licht im Treppenhaus besonders intensiv.
Palazzo Mannajuolo im Kontext
Der Palast ist kein Solitär. Rundherum finden sich weitere Bauten im Stile Liberty: die Villa Pappone, der Palazzo Leonetti, der Palazzo Della Porta. Zusammen bilden sie ein Ensemble, das zeigt, wie Neapel um 1900 experimentierte.
Im europäischen Vergleich wirkt der neapolitanische Jugendstil etwas zurückhaltender als der üppige belgische oder der verspielte französische. Man spürt mediterrane Einflüsse: hellere Materialien, großzügigere Balkone, stärkere Betonung der Fassadenstruktur. Der Palazzo Mannajuolo ist also sowohl Teil einer internationalen Bewegung als auch Ausdruck lokaler Baukultur.
Ein Blick auf die Architekten
Giulio Ulisse Arata (1881–1962): Schüler der Mailänder Schule, geprägt vom Rationalismus, aber mit Sinn für dekorative Elemente. Später auch Professor in Mailand.
Luigi Santarella (1866–1936): Architekt und Hochschullehrer in Neapel, bekannt für seine monumentalen Treppenanlagen und sein Werk über Bautechnik.
Michele Romano: Bauunternehmer, der die Ideen in die Praxis umsetzte. Ohne ihn wäre die aufwändige Konstruktion kaum realisierbar gewesen.
Die Zusammenarbeit dieser drei erklärt den Spagat zwischen technischer Raffinesse (freitragende Treppe) und künstlerischem Ausdruck (Fassade, Ornamente).
Persönlicher Eindruck
Man muss kein Architektur-Nerd sein, um die Wirkung zu spüren. Ich stand unten im Treppenhaus, habe nach oben geschaut und gedacht: Das ist fast wie ein optischer Trick. Man verliert sich in den Linien. Und ja, ich habe natürlich ein Foto gemacht. Es wäre schade gewesen, es nicht zu tun.
Das Faszinierende: Während draußen Autos hupen und Vespas vorbeirasen, herrscht im Inneren Ruhe. Nur Schritte auf dem Marmor, ein gedämpftes Echo. Eine kleine Oase mitten in der Stadt.
Praktische Tipps
Öffnungszeiten: keine offiziellen, da Wohnhaus. Tagsüber am besten.
Eintritt: kostenlos.
Fotografieren: möglich, aber bitte rücksichtsvoll.
Beste Zeit: Vormittag / früher Nachmittag.
Kombination: Besuch mit Spaziergang durch Chiaia, Stopps bei anderen Liberty-Bauten.
Fazit
Der Palazzo Mannajuolo ist kein touristisches Aushängeschild wie Pompeji oder der Vesuv. Aber gerade das macht ihn spannend. Er erzählt die Geschichte einer Stadt, die um 1900 zwischen Tradition und Moderne stand. Er zeigt, dass Neapel mehr ist als Barock und Antike – dass hier auch die Ideen des Jugendstils auf fruchtbaren Boden fielen.
Kurz: Wer Architektur liebt, sollte diesen Palast sehen. Wer einfach nur eine schöne Ecke Neapels entdecken will, auch.
FAQ
Kann man den Palazzo Mannajuolo von innen besichtigen?
Ja, das Treppenhaus ist frei zugänglich. Wohnungen sind privat.
Gibt es Führungen?
Offiziell nein. Manche Architekturführungen nehmen den Palast auf.
Wie fotografiere ich die Treppe am besten?
Stellen Sie sich mittig unten ins Treppenhaus und fotografieren Sie nach oben. Alternativ von oben nach unten – ebenfalls eindrucksvoll.
Welche anderen Jugendstilbauten gibt es in Neapel?
Villa Pappone, Palazzo Leonetti, Palazzo Della Porta, außerdem einige Villen im Stadtteil Vomero.
Ist der Besuch kostenlos?
Ja.
Wie lange sollte man für den Besuch einplanen?
20–30 Minuten reichen, um Treppe und Fassade zu erleben.
Labels:
Neapel, Palazzo Mannajuolo, Jugendstil, Architektur, Stile Liberty, Sehenswürdigkeiten Neapel, Italien, Innenräume, elliptische Treppe, Chiaia
Meta-Beschreibung:
Der Palazzo Mannajuolo in Neapel: Jugendstil-Architektur mit berühmter elliptischer Treppe. Infos zu Geschichte, Architekten, Innenräumen, Lage & Tipps für den Besuch im Quartiere Chiaia.
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