Napoli im 17./18. Jahrhundert: Plagen, Seuchen und ihre Auswirkungen auf Stadtentwicklung und Bevölkerung
Napoli im 17./18. Jahrhundert: Plagen, Seuchen und ihre Auswirkungen auf Stadtentwicklung und Bevölkerung
Neapel – damals noch Napoli genannt – war im 17. und 18. Jahrhundert eine der größten Städte Europas. Mit bis zu 400.000 Einwohnern Mitte des 17. Jahrhunderts lag sie in einer Liga mit Paris, London oder Konstantinopel. Eine vibrierende Metropole, aber auch eine überfüllte. Eng bebaute Gassen, kaum Frischwasser, offene Abwasserkanäle, fehlende Hygiene. Klingt nach einer Einladung für Krankheiten. Und genau das war es.
Die Stadt war mehrfach von Epidemien getroffen, allen voran von der Pest von 1656. Diese Katastrophe prägte nicht nur die Bevölkerungszahlen, sondern auch die Stadtentwicklung, soziale Strukturen und sogar die Architektur.
Die Pest von 1656 – ein Schlag ins Herz der Stadt
Im Frühjahr 1656 erreichte die Pest Neapel. Vermutlich eingeschleppt aus Sardinien oder Spanien, wo ähnliche Ausbrüche wüteten. Was folgte, war apokalyptisch: Innerhalb weniger Monate starben Schätzungen zufolge zwischen 150.000 und 200.000 Menschen. Das war fast die Hälfte der damaligen Bevölkerung.
Die Stadt wurde still. Werkstätten geschlossen. Handel lahmgelegt. Die Gassen, sonst voller Leben, wurden zu Orten des Schreckens. Zeitgenössische Berichte schildern Leichenberge, notdürftig in Massengräbern verscharrt. Kirchen überfüllt mit Toten. Priester und Ärzte starben in großer Zahl.
Man könnte sagen: Die Pest von 1656 riss ein Loch in die Gesellschaft. Ganze Familienlinien starben aus. Viele Handwerkszweige verloren ihre Meister. Selbst die herrschende Elite blieb nicht verschont. Der Vizekönig, der die Stadt im Namen Spaniens regierte, stand vor einem Trümmerhaufen.
Bevölkerungsverlust und soziale Folgen
Nach 1656 war Neapel eine halb entvölkerte Stadt. Von geschätzt 400.000 Einwohnern fielen die Zahlen auf 200.000–220.000. Zum Vergleich: Rom hatte damals gerade einmal um die 100.000 Menschen.
Das hatte Folgen:
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Arbeitskräfte fehlten. Handwerker, Bauleute, Händler – viele starben oder verließen die Stadt.
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Landflucht in die Stadt stockte. Normalerweise zog Neapel viele Menschen aus dem Umland an. Doch wer wollte schon in eine verseuchte Stadt ziehen?
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Immobilienmarkt im Umbruch. Ganze Häuserblocks standen leer. Wohlhabende Familien kauften auf – manche zu Spottpreisen. So verschoben sich Besitzverhältnisse.
Langfristig führte das auch zu einer neuen Schichtung: reiche Familien bauten Palazzi, während große Teile der Bevölkerung in überfüllten Quartieren vegetierten.
Stadtentwicklung nach der Katastrophe
Eine Epidemie verändert auch die Stadt selbst. Neapel war dicht bebaut, mit verwinkelten Gassen. Nach der Pest gab es Ideen, mehr Ordnung und Hygiene einzuführen – ähnlich wie später in Paris. Ganz gelang das nicht, aber es entstanden größere Plätze, neue Kirchen, Krankenhäuser.
Beispiel: Das berühmte Ospedale degli Incurabili, bereits seit dem 16. Jahrhundert aktiv, wurde im 17. und 18. Jahrhundert massiv ausgebaut. Ebenso entstanden Hospitäler wie das Ospedale di San Gennaro dei Poveri. Gesundheit war plötzlich ein zentrales Thema.
Auch die Architektur reagierte: Kirchen und Kapellen wurden zu Erinnerungsorten für die Opfer. Fresken, Altäre, Votivtafeln – überall sichtbare Spuren der Angst und Dankbarkeit der Überlebenden.
Religion, Aberglaube und Kontrolle
Die Menschen suchten Erklärungen. Viele glaubten, die Pest sei Strafe Gottes. Prozessionen fanden statt, Heiligenbilder wurden durch die Straßen getragen. Vor allem San Gennaro, der Stadtpatron, gewann noch mehr Bedeutung. Sein Kult wurde zu einer Art sozialem Kit.
Doch es gab auch handfeste Maßnahmen: Quarantäne. Tore der Stadt wurden geschlossen. Schiffe durften nicht anlegen. Wer verdächtig war, wurde isoliert. Heute würden wir sagen: primitive, aber wirksame Maßnahmen der Seuchenkontrolle.
Trotzdem: Das Wissen über Infektionen war begrenzt. Ratten und Flöhe als Überträger? Wusste damals niemand.
Wiederkehrende Krankheiten im 18. Jahrhundert
Die Pest von 1656 war der große Einschnitt. Aber sie war nicht das Ende. Im 18. Jahrhundert trafen andere Seuchen die Stadt:
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Cholera (Ende des 18. Jahrhunderts erste kleinere Wellen, später im 19. Jahrhundert schlimmer)
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Pocken, regelmäßig tödlich für Kinder
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Malaria, besonders in sumpfigen Gebieten rund um Neapel verbreitet
Die Bevölkerung erholte sich langsam. Gegen 1700 lebten wieder über 300.000 Menschen in Neapel, und Mitte des 18. Jahrhunderts zählte die Stadt rund 430.000 Bewohner – wieder eine der größten Städte Europas.
Vergleich mit anderen Städten
Wenn man Neapel mit anderen Metropolen vergleicht, fällt die Härte der Epidemie von 1656 besonders auf:
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London: Die Große Pest 1665 tötete etwa 15–20 % der Bevölkerung.
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Wien: 1679 starben ca. 76.000 Menschen, ein Drittel der Einwohner.
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Neapel: fast 50 % – also deutlich dramatischer.
Dieser Unterschied lag an der Bevölkerungsdichte, den klimatischen Bedingungen und der Rolle Neapels als Hafenstadt. Handel brachte Reichtum, aber auch Krankheiten.
Alltag im Schatten der Seuche
Wie lebten die Menschen nach 1656? Anders, aber auch nicht völlig verändert. Krankheiten gehörten zum Alltag. Ein Arztbesuch war für die Armen kaum leistbar. Viele vertrauten auf Kräuter, Hausmittel, Segnungen.
Ein Beispiel: In Stadtteilen wie den Quartieri Spagnoli hausten Menschen dicht an dicht. Müll auf den Straßen, Tiere in den Häusern – perfekte Brutstätten für neue Epidemien. Die oberen Schichten zogen sich in ihre Villen auf dem Land zurück. Quasi „Homeoffice auf dem Land“, nur ohne Laptop.
Spuren bis heute
Spaziert man heute durch Neapel, stößt man noch auf Spuren dieser Zeit:
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Kirchen wie Santa Maria del Pianto erinnern an die Opfer von 1656.
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Straßennamen, Inschriften, Fresken – stille Hinweise auf die Katastrophe.
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Die unregelmäßige Stadtstruktur, das Nebeneinander von prächtigen Palästen und armen Quartieren, hat ihre Wurzeln in dieser Umbruchzeit.
Die Pest war also nicht nur ein medizinisches Ereignis. Sie formte die Stadt.
Fazit
Napoli im 17. und 18. Jahrhundert war ein extremes Beispiel dafür, wie Seuchen eine Metropole verändern können. Die Pest von 1656 dezimierte die Bevölkerung, veränderte Besitzverhältnisse, beschleunigte Stadtentwicklungen und verstärkte religiöse Traditionen.
Die Stadt erholte sich – aber langsam. Erst im 18. Jahrhundert war Neapel wieder auf Wachstumskurs. Die Epidemien hinterließen jedoch ein kollektives Gedächtnis, das bis heute sichtbar ist.
Und mal ehrlich: Wenn man heute durch Neapel läuft, die enge Altstadt erlebt, die Mischung aus Chaos und Schönheit, dann kann man sich vorstellen, wie fragil das Leben damals gewesen sein muss.
FAQ
Wie viele Menschen starben bei der Pest von 1656 in Neapel?
Zwischen 150.000 und 200.000 – fast die Hälfte der Bevölkerung.
Welche Folgen hatte die Pest für die Stadtentwicklung?
Neue Krankenhäuser, Kirchen, geänderte Besitzverhältnisse und teilweise geordnete städtebauliche Maßnahmen.
Gab es im 18. Jahrhundert weitere Epidemien in Neapel?
Ja, Pocken, Cholera (später stärker) und Malaria blieben regelmäßige Bedrohungen.
Warum war Neapel besonders anfällig für Epidemien?
Hohe Bevölkerungsdichte, Hafenstadt mit starkem Handel, schlechte Hygiene- und Wohnverhältnisse.
Labels:
Napoli, Geschichte, 17. Jahrhundert, 18. Jahrhundert, Pest, Epidemien, Stadtentwicklung, Bevölkerung, Italien, Mittelmeer
Meta-Beschreibung:
Neapel im 17./18. Jahrhundert: Wie die Pest von 1656 und andere Epidemien die Stadt, ihre Bevölkerung und ihre Entwicklung prägten. Fakten, Zahlen und Hintergründe zur größten Katastrophe der Stadtgeschichte.
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